„Määä!“ Ich öffne widerwillig die Augen und murre: „Das heißt Miau!“ Unbeeindruckt lässt sich Katze zur Seite plumpsen und signalisiert mir schnurrend, dass jetzt Kuschelzeit ist. Laut Wecker wäre eigentlich Turbozeit fürs Bad, aber dann nutze ich eben die Verzögerung, um mir eine schlaue Klamotten-Kombi zu überlegen – zurzeit liegen Frieren und Schwitzen unangenehm nah beinander. Katze reckt genießerisch ihre Vorderbeine und meine Einbildung zaubert ein Grinsen in ihr Gesicht.
Natürlich stehe ich eine halbe Stunde später trotzdem ratlos im Schlafzimmer, weil die Theorie nicht mit einschloss, dass die Jeans auf dem Wäscheständer noch nass sein könnten. Späte Erkenntnis: Der Unterschied zwischen Sommer und Herbst lässt sich in Hamburg lediglich an der Dauer messen, wie lange man der Kleidung eines Waschgangs entsagen muss.
Auf den letzten Metern zur Bahnhofstreppe stecken sich die Menschen wieder einmal gegenseitig mit aufkeimender Panik an, die Bahn könnte just einfahren. Der Eil-Modus springt von einem zum nächsten über, ehe beim ersten Blickkontakt zum Bahnsteig wieder in den Schlurf-Modus gedrosselt wird. Ein Kollege meinte letztens zu mir: „Ich habe gemerkt, dass ich zum Stadtmenschen geworden bin, als ich zur Bahn hechtete, obwohl die nächste in fünf Minuten fährt!“ Ist was dran.
Mir hätte zumindest die Bahn vor fünf Minuten eine Grundschulklasse erspart, die zwar für sich genommen ganz drollig ist, nur leider Ausweichmanöver eines hochgewachsenen Rucksackträgers vor mir auslöst. Während ich mein Gesicht in Sicherheit bringe, nutzt der neben mir stehende Riese mein Wegducken, um sich über mir an einer der Stangen festzuhalten. Würdelos krümme ich mich im rechten Winkel seiner Achseln und forme gedanklich bereits die passenden Worte. Doch meine Station kommt der Mutation als zeternder Rohrspatz zuvor: „Nur weil du es KANNST … !“ Na ja und so weiter – die Kleingewachsenen unter euch kennen das vielleicht.
Mit dem Aussteigen kehrt Frieden in mein morgenfeindliches Herz zurück. Ich stelle die Musik in meinen Ohren etwas lauter, um das hektische Treiben zu untermalen, statt darin unterzugehen und beobachte die Menschen. Manche ballen ihre Hände zu Fäusten beim Gehen und wirken so angespannt, als würde sie das Leben sekündlich prüfen. Andere scheinen mit ihrer Körperhaltung zu entschuldigen, dass sie überhaupt da sind. Im Treiben der Massen gibt es diejenigen, deren Kurs so gerade ist, dass andere ständig beiseite hüpfen müssen und jene, die stets ein Auge auf ihr Umfeld haben. Nicht wenige lassen durch ihren Gang meinen Vermutungen über ihre Charaktereigenschaften freien Lauf: schüchtern, selbstbewusst, rücksichtsvoll, ich-bezogen, offen, misstrauisch … Oft versuche ich mir vorzustellen, in welchem Alltag der ein oder andere wohl Zuhause ist.
Mein Alltagszuhause wartet in der Agentur auf mich. Emsiges Tippen ist in der Regel der Soundtrack meiner Ankunft und so klemme auch ich mich hinter die Tastatur, nachdem mein „Guten Morgen“ einmal in die Runde ging. Fast noch wichtiger als der Kaffee sind dabei meine Kopfhörer: Wenn ich in die Welten meiner Texte abtauche, brauche ich die richtige Musik dazu – einerseits, um das unmittelbare Agenturleben auszublenden und andererseits für meine Grundstimmung. Ich kann nicht die gleiche Musik hören, wenn mir für die eisige Schönheit Grönlands und das exotische Flair Südamerikas die treffenden Wortbilder einfallen sollen. Manchmal braucht es seine Zeit, in das richtige Gefühl abzutauchen. Und selbst dann bleibt der Zweifel, ob man dem Kundenwunsch gerecht wird. Richtig oder falsch gibt es nur im bedingten Maße. So lange innere Logik, Sprachästhetik und atmosphärisch gemalte Gefühle passen, laufen Korrekturschleifen letztlich auf Geschmacksfragen hinaus. Damit müssen Texter und auch Grafiker, im übertragenen Sinne, leben.
Manchmal fühle ich mich, als wären alle Worte aus mir hinausgeflossen. Und so fahre ich auch heute leicht betäubt nach Hause, lasse den Stress der überfüllten Bahnen an mir abperlen und nehme jeden möglichen Weg wahr, zu Fuß den Rest der Strecke zu überbrücken, um einfach meine Ruhe zu haben.
Zuhause erwartet mich die Überraschung, dass sich das elende Problem, auf meinem Fernseher kein Netflix mehr empfangen zu können, von alleine erledigte. Nachdem ich seit Monaten gut auf das TV-Programm verzichten konnte, stattdessen jedoch wie ein gieriges Frettchen das Mini-Display meines Smartphone zum berieselnden Einschlaf-Ritual nutzte, fühle ich mich schon ein bisschen gestört. Aber so sieht das Single-Leben einer Texterin wohl aus: Wer tagtäglich nach den richtigen Worten sucht, ist auch einfach mal froh, wenn einigermaßen intelligente Serien den Job eines guten Buches übernehmen – das jedenfalls gilt für mich. Es sollte Warnhinweise für Serienstaffeln geben: „Das Verfolgen dieser Serie könnte Ihr Zeitgefühl beeinflussen!“
Hiermit ist immerhin mein Versprechen eingelöst, das ich einer lieben Person gab: Willkommen in meinem Alltagskino. So unspektakulär wie wahr, wenn man es ein bisschen auf die wesentlichen Details beschränkt.
Spannendere Entwicklungen zeichnen sich ab – bis dahin: Welche Serien könnt ihr empfehlen? 😉
Breaking Bad musst Du unbedingt sehen, klug und witzig gemacht. Ansonsten suchte ich grad Dexter, ist ähnlich gut 🙂
Ups, sorry. Hab deinen Kommentar erst spät entdeckt. Dexter war meine Einstiegsdroge und mit Breaking Bad bin ich endgültig der Seriensucht verfallen. 😉
War ja klar ?
O.A. , Ozark? House of cards und the Walking Dead sind ja eh Pflicht
Yeah, ein Treffer war dabei! Ozark kenn ich noch nicht. 🙂 Danke!