Erster Tag in Teheran

Als mein Handy-Wecker klingelt, komme ich nur langsam zu mir. Zuhause ist es jetzt 5:30 Uhr, denn zwischen dem Iran und Deutschland liegt gerade eine Zeitverschiebung von 2,5 Stunden. Elaheh und ich hatten uns am Vortag darauf geeinigt, dass 8 Uhr zum Aufstehen reichen sollte, um in die Berge zu fahren. Ich blinzle müde und schaue mich erstmals bei Tageslicht im Raum um, als Elaheh ihren Kopf durch die Tür steckt: „Guten Morgen, Azizam, hast du gut geschlafen? Wir müssen unsere Pläne etwas ändern. Es hat geschneit! Daher wär es gerade unpraktisch, in die Berge zu fahren. Dafür können wir die Saadabad-Palastanlage besichtigen. Komm, das Frühstück ist fast fertig.“ Durch den Türspalt weht leckerer Essensduft herein.

Ich schnappe mir fix meine Kulturtasche und als ich hinaustrete, winkt mir auch Matin aus der offenen Küche einen gut gelaunten Morgengruß rüber. Die erste Morgentoilette ist ungewohnt. Meinem, frühen Aufstehen gegenüber feindlich gesinnten, Wesen fällt die Koordination unter den neuen Bedingungen noch nicht ganz so leicht. 😉

Wir genießen ein gemütliches Frühstück. Elaheh verwöhnt mich mit einem leckeren Rührei nach persischer Art, ähnlich dem türkischen Meneme und obwohl es gerade mal der erste Morgen ist, fühle ich mich mit ihr und Matin bereits wie unter alten Freunden. Wir führen u.a. Unterhaltungen über verschiedene Sprachen und Auffassungen von Humor, als das Gespräch auf Mr. Bean kommt. Ich könnte ewig sitzen bleiben, aber es gibt ja Pläne.

Matin wehrt ab, als ich beim Abräumen helfen möchte und so machen Elaheh und ich uns fertig zur Abfahrt. Schnell merke ich, dass es sinnvoller ist, das Kopftuch als letztes anzulegen, weil sonst die ganzen anderen Klamotten-Schichten nur Probleme bereiten. Es ist kalt und mithin trage ich ein dickeres Tuch, dessen Schwere dezent an der Kopfhaut zerrt. Ich bin es eben einfach nicht gewohnt. Immerhin kann das Kopftuch ruhig locker sitzen. Ansonsten ist zu beachten, dass Frau bis über die Hälfte der Oberschenkel möglichst wenig körperbetont und mindestens ihre Ellenbogen bedeckt sind. Nackte Beine kommen natürlich auch nicht in Frage, aber in die Verlegenheit käme man im Winter ohnehin nicht, der übrigens mit sich bringt, dass die Sitten-Polizei eine Pause einlegt, da die Frauen witterungsbedingt automatisch ausreichend bekleidet sind.

In den Straßen herrscht völliges Chaos. Ich vermute zu Recht, dass es nicht nur am Schneefall liegt. Alte Straßen sind eng und haben keine Fahrstreifen. Neuere Straßen haben Fahrstreifen, die interessieren aber auch nur am Rande. Das Verkehrsaufkommen ist gigantisch, oftmals liegt weniger als ein Zentimeter zwischen unserem Seitenspiegel und dem des Autos neben uns. Ich bewundere Elahehs Gelassenheit und registriere interessiert, dass die Hupen hier selbstverständlich als Ankündigung genutzt werden: „Achtung, ich komme, rück mal rüber!“ Und es funzt. Als wir bei der Palast-Anlage ankommen, vollendet sich mein Respekt vor Elahehs Fahrkünsten. Ich hätte gedacht, man könne das Auto höchstens seitlich in diese kleine Parklücke hineinschieben.

So schnell, wie der Schnee fiel, so rasch entwickelt er sich auch zur Rutschpartie. Wir tasten uns beieinander eingehakt voran und sind dankbar, als uns ein Kleinbus-Fahrer kostenlos ein Stückchen mitnimmt. Das Gelände ist mit ca. 110 Hektar sehr weitläufig. Wir lösten am Eingang Eintrittskarten für drei der 18 Paläste und sind damit für die nächsten Stunden sowohl im Bewältigen der Distanzen als auch der Aufnahmefähigkeit bestens ausgelastet. Vor allem hinsichtlich letzterem verdient diese Etappe daher einen gesonderten Eintrag.

Anschließend suchen wir, von einem Bärenhunger getrieben, ein Restaurant auf, das für seine sehr guten Shish Kebabs (persische Fleischspieße) bekannt ist. Und tatsächlich ist der Wartebereich prall mit Menschen gefüllt. Uns werden Nummern zugewiesen und ich habe reichlich Zeit, die mehr oder auch weniger kunstvollen „Verschönerungstaktiken“ Teheraner Frauen zu begutachten. Neben den obligatorischen Nasen-OPs liegen auch der großzügige Einsatz von Botox sowie teils verstörende Ausmaße kosmetischer Gesichts-Malerei weit oben im Trend. Aufgrund der unmittelbaren physischen Nähe, komme ich nicht umhin, mich hin und wieder leicht zu erschrecken, wenn sich ein besonders eifriges Exemplar zu mir umdreht.

Endlich dürfen auch wir durch die Tür huschen und vor mir liegt ein riesiger fensterloser Raum, der auf mich wie ein umfunktioniertes Hamam wirkt. Sowohl Wände als auch Böden sind aus Marmor, die Decke ist endlos hoch und entsprechend beachtlich die vom Stimmengewirr erfüllte Raum-Akustik. Die Tische sind mit mehrlagigen durchsichtigen Plastik-Tischdecken bedeckt. Mit jedem Gast wird eine Lage entsorgt und das schmutzige Geschirr via Metallwagen von dannen gerollt. Und schon kommt unser Essen. Es schmeckt großartig, wir schlemmen in zufriedener Glückseligkeit und ich entdecke mein Lieblingsgetränk für die weitere Reise: Dough mit Pfefferminz – also eigentlich wie der türkische Ayran, nur eben zusätzlich gewürzt. Vorsichtshalber ruft Elaheh ihre Mutter an, um ihr Bescheid zu sagen, dass wir spät gegessen hätten, da wir abends noch zu ihren Eltern fahren und vermeiden wollen, mit allzu viel Essen empfangen zu werden. Ich ahne bereits, dass die Mengenauslegung persischer Gastfreundschaft eventuell anderen Gesetzen gehorcht.

Da wir vorher noch mit einer Freundin Elahehs verabredet sind, müssen wir uns etwas beeilen. Wir treffen uns in einem großen Einkaufszentrum und bei unserer Ankunft stellt sich schnell heraus, dass das Volumen der dazugehörige Garage bereits erschöpft ist. Doch man ist findig und leitet uns in einen noch im Bau befindlichen Garagenkomplex weiter. Schnell wurden ein paar Hilfsarbeiter rangeschafft, deren bedauernswerter Job es nun ist, uns an diversen Punkten durchzuwinken und Parkplätze zuzuweisen. Ich muss daran denken, wie ausgeschlossen es in Deutschland wäre, mal eben eine ungesicherte Baustelle zur Verfügung zu stellen, damit einem bloß keine kaufwilligen Besucher durch die Lappen gehen.

Vor uns liegt allerdings noch ein Rätselraten am Fahrstuhl, ehe wir zu unserem Treffpunkt gelangen. Diese futuristische Anlage mag ihre Entwickler ja vor Stolz platzen lassen, den Benutzer hingegen verwirrt sie vollends. Es wird uns noch mehr Zeit kosten, den Weg zurück zu finden, begleitet von gemeinschaftlichem Brainstorming mit anderen Verirrten. Das vielbeschworene Nebeneinander von Tradition und Moderne in diesem Land wächst sich an dieser Stelle zu einem amüsanten Ankedötchen aus.

Elahehs Freundin stellt sich als überaus liebenswerte Persönlichkeit heraus, deren natürliche Schönheit einen sympathischen Bogen um den Kosmetik-Wahn macht. Da sich die beiden eine ganze Weile nicht sehen konnten und offensichtlich ein Herz & eine Seele sind, überlasse ich sie gerne ihrem Austausch. Außerdem hat Elaheh eine Dolmetscher-Pause verdient. Dennoch integrieren sie mich in ihr Gespräch, wobei sie der Redeeifer immer wieder vom Englischen ins Farsi gleiten lässt. Ich höre ihnen dennoch gerne zu, weil ich den Klang der Sprache mag, der tatsächlich viel weicher und melodischer als Arabisch klingt. Und so lasse ich einfach die Atmosphäre um mich herum auf mich wirken und beäuge interessiert, wie kreativ die Kleidervorschrift-Interpretation der Teheraner Frauen mitunter ausfällt. Das Kopftuch wirkt oftmals eher als schmückendes Beiwerk, das sich gerade noch am letzten Haarzipfel des Hinterkopfes festhält.

Doch irgendwann müssen sich die beiden voneinander trennen. Man erwartet uns und Elahehs Freundin muss zuhause weiterarbeiten, da sie ihr Studium trotz Mutterdasein fortführt.

Nach einem langen Tag machen wir uns zuhause noch einmal frisch und dann mit Matin zusammen auf den Weg zu Elahehs Eltern. Ich bin ein bisschen nervös. Doch meine Aufregung ist völlig unbegründet. Davon erzähle ich euch in meinem nächsten Beitrag.

2 Kommentare

  1. liebe Jana,

    ich habe deine reise schon bei FB verfolgt und finde es toll, dass du sie nun über den Blog noch einmal und ausführlicher schilderst!
    danke und LG
    angelika

    1. Liebe Angelika,
      vielen Dank, ich freue mich sehr über deine Rückmeldung und natürlich noch viel mehr, dass du Freude an meinem Blog hast!
      Sei herzlich gegrüßt,
      Jana

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