Es ist noch gar nicht so lange her, als ich Hussam kennenlernte. Dazu hatte ich auch schon mal einen Beitrag geschrieben. Er gründete zusammen mit seinem Bruder das Flüchtling-Magazin – für Menschen von Menschen, für Deutsche von Flüchtlingen. Denn Hussam glaubt an die Wichtigkeit, dass Menschen miteinander diskutieren und reden.
Die Geburt des Flüchtling-Magazins
Als die erste Idee entstand, lebten die beiden in einer Erstaufnahme und warteten auf ihr Asylverfahren. Das war im März 2016. In den darauf folgenden Monaten baute sich Hussam ein beachtliches Netzwerk auf. Und am 14.02.2017 war es soweit: das Flüchtling-Magazin ging online. Der Valentinstag sollte als Symbol der Liebe ihr Datum werden, um über Kulturen und ihre Unterschiedlichkeiten mit Respekt zu diskutieren. Er selbst wählte diesbezüglich ein schönes arabisches Sprichwort, um sein Anliegen auf den Punkt zu bringen: „Meine Meinung ist vielleicht falsch, aber wenn man sie von einer anderen Seite aus betrachtet, ist sie vielleicht richtig. Deine Meinung ist vielleicht richtig, aber von einem anderen Blickwinkel aus gesehen vielleicht falsch.“ Wer sich auf diese Logik einlässt, versteht schnell seine Aussage. Wir sind alle Menschen, nur wachsen wir in unterschiedlichen Kulturen auf. Aber lest doch am besten direkt seinen Artikel, denn er erklärt seine Gedanken hierzu so schön, dass ich sie gar nicht neu formulieren möchte.
Eine Ausstellung über das Schicksal Syriens
Nun ist ein halbes Jahr vergangen und anlässlich dieses „kleinen“ Geburtstages, veranstaltet das Flüchtling-Magazin eine Ausstellung, deren Vernissage ich nur all zu gerne besuche. Und davon möchte ich euch erzählen:
Ich gehe bewusst alleine, da ich mir denke, so viel eher ins Gespräch zu kommen. Mir ist wichtig, alles in Ruhe auf mich wirken zu lassen und offen für neuen Austausch zu sein. Kaum, dass ich reinkomme, sehe ich auch schon Hussam. Er begrüßt mich herzlich und weist mir einladend den Weg zur Ausstellung. Bereits das erste Bild hält mich lange fest. Die Intensität seiner Ausstrahlung wird durch die Namensgebung „Reue“ umso eindringlicher. Bild für Bild nehme ich meinen Weg und bleibe nicht selten lange bei einem stehen.
Als ich schließlich die Runde gemacht habe, nimmt es Hussam direkt wahr und kommt auf mich zu. „Magst du vielleicht ein Interview mit dem Künstler machen für deinen Blog?“ Na klar möchte ich. Und so macht er mich mit Rabeaa Al Sayed bekannt. Mir fallen sofort die lieben, aber auch ein kleines bisschen traurigen Augen hinter der kleinen Brille auf. Sein Gesicht ist eingenommen von einem gepflegten Vollbart, der an der Oberlippe fast schon eine gezwirbelte Senior-Seriosität einnimmt. Rabeaa strahlt die sanfte Gemütsruhe eines lieben Onkels aus, der viel erlebt und Verständnis dafür hat, wenn man das nicht gleich versteht. Dabei ist er gerade mal zwei Jahre jünger als ich.
Entschuldigend weist er darauf hin, dass sein Deutsch noch nicht so gut sei und wir reden auf Englisch weiter, während Hussam uns lächelnd wieder verlässt. Zunächst einmal tauschen wir Kontaktdaten aus, damit wir uns für ein Interview treffen können und dann lädt mich Rabea dazu ein, mir seine Bilder zu erklären. Erst da leuchtet mir ein, dass der Uhrzeigersinn wohl kaum das Patentrezept ist. Ich hatte seine Werkreihe genau verkehrt herum betrachtet. Dabei erzählt sie die Geschichte von der Revolution bis heute in eindrucksvoller Weise, ich hatte es nur nicht gleich erkannt.
Emotionen in Pinselstrichen
Wir gehen von Bild zu Bild. Zwar verstehe ich ihn nicht immer, da es doch recht laut ist – doch das Wesentliche kommt sehr bei mir an. Er hat all das Leid erlebt und was ich sehe, sind Eindrücke aus seinem Kopf. Real. Auch heute noch. Es sind die Blicke aus seinem Gestern, die jeden Tag grausig präsent sind. Seine gesamte Familie ist über die Länder verteilt. Keiner weiß um das Morgen. Am wenigsten die Zurückgebliebenen in Syrien. Nicht mal er weiß, ob man ihn nicht selbst womöglich schon nächste Woche zurückgeschickt. Ich sehe in seinen Bildern ertrinkende, schmerzerfüllte Augen, die trotzdem noch Hoffnung ausstrahlen und viel, unendlich viel Leben, das lebendig sein möchte. Doch Rabeaa setzt nicht auf Mitleid oder Dramatik, er bleibt zurückhaltend. Letztlich teilt er mir nur ganz ruhig Fakten mit und scheint fast in einer ruhenden Hülle zu stecken. Die Emotion spricht aus seinen Pinselstrichen. Ja, er lächelt sogar oftmals verschmitzt.
Da kommt eine Frau auf uns zu, die ihm so gerne danken möchte, weil sie die Bilder derart berührten. Ihr Englisch reicht nicht ganz aus, also fungiere ich spontan als Dolmetscherin. Irgendwann übermannen sie die Gefühle und ihre Augen werden glasig. Rabeaa reagiert unglaublich lieb. Er nimmt sie herzlich in die Arme und drückt sie mit einem verständigen Lächeln. Ich schaue betroffen zu, wie er sie tröstet. Verkehrte Welt und trotzdem gut.
Reale Begegnungen, die bewegen
In den nächsten Momenten lerne ich Leute kennen, die sich auf jede mögliche Art engagieren, um etwas für Menschen, das Miteinander und ein besseres Morgen zu tun. Netzwerken klappt hier im besten Sinne. Doch bei aller positiven „Verbrüderung“ und all den euphorischen Plänen, zusammen etwas zu bewegen, dominiert die Realität in diesen Räumen …
… während unseres Rundgangs macht mich Rabea auf eine Kinderzeichnung aufmerksam, die mich über den Besuch hinaus nicht loslässt. Sie war das Geschenk eines kleinen syrischen Besuchers. Wir stehen lange wortlos davor: Ein Haus, daneben die Familie – doch darüber strahlt nicht nur die Sonne, sondern auch das Feuer der fallenden Bomben zweier Flugzeuge und das Haus brennt. Eine Version der Welt aus Kindersicht. Er hat das Bild direkt unter eines seiner geklebt und es sagt mehr als alle Worte.
Es geht um das natürliche Miteinander
Ich verließ die Ausstellung gedankenvoll. Rabea war es gelungen, mir mit seinem spitzbübischen Lächeln Respekt einzuflößen, wie sehr das Menschliche jede Grausamkeit überleben kann. Es ging ihm nicht darum, die Besucher traurig zu stimmen, sondern um etwas anderes: zu verstehen und hinzusehen.
Wir begrüßen keine Flüchtlinge. Zu uns kommen Menschen, die auch ihre Geschichte mitbringen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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