Sie sind mitten unter uns. Die unberechenbaren Zeitbomben maximaler Übellaunigkeit. Manche davon fahren blaue Kleinwagen und laufen zur Höchstform auf, wenn man ihnen ihren Parkplatz streitig machen will. Skandal!
Da der Hamburger Verkehrsbund beschlossen hat, schon vor der Ferienzeit Bahnstrecken lahmzulegen, die hunderte von Menschen zur Arbeit bringen sollen, wird meine Menschenmassenphobie in den verbliebenen Bahnverbindungen hart auf die Probe gestellt. Morgens in Armbeugen fremdkuscheln und abends beten, dass dieser Warnhinweis, sich nicht an die Bahntür zu lehnen, kompletter Blödsinn ist, weil ich meinen Po nicht einfach wegzaubern kann – kein Geschenk! Auch schnallen ja einfach 90% der Menschen nicht, dass erst einmal Leute aussteigen müssen, damit neue einsteigen können. Eine junge Frau ging sogar dazu über, mich erbost wegzuschubsen, als ich fragte: „Könntest du bitte noch einmal zur Seite gehen? Hinter mir wollen welche aus der Bahn!“ Sie schimpfte noch hinter mir weiter, als hätte ich gerade das Unfassbare gewagt.
So eine Welt, in der nicht mal die verbale Fußnote zur Selbstverständlichkeit wirkt, ist ganz bestimmt nicht meine, wenn ich gegen multiple innere Schweinehunde siegreich aus dem Bett komme und das Kissen trotzdem noch in meinem Gesicht klebt. Also nehme ich heute das Auto. Wohlwissend, dass meine Vermeidungsstrategie womöglich ihren Preis haben wird.
In der Mittagspause wittere ich die Chance, eventuell noch umparken zu können. Legale Parkplätze in Hammerbrook sind mindestens so rar wie umsichtige Bahnfahrer. Meine Kollegin erspäht tatsächlich eine solche Seltenheit, nickt mir zu, während sie sich schützend platziert und ich flitze rüber zu meinem Auto. Es dauert wirklich keine Minute, bis ich die Einfahrt zu den Parkplätzen erreiche, da sehe ich sie auf mich zukommen, während sich ein Hüne im schwarzen Shirt wiederholt aggressiv vor sie schiebt und hart angeht. Ich halte, öffne die Beifahrertür und höre ihn wettern: „Los, hol die Polizei! Ich zeig dich an wegen Beleidigung!“ (Die Logik erschloss sich uns nachträglich nicht mal mit Fantasie.) Oh Gott oh Gott! Ich rufe ihr zu, sie solle einsteigen und es gelingt ihr, an ihm vorbei zu gelangen. Beim Wegfahren sehe ich noch, wie uns ein anderer Mann entspannt mampfend, aber interessiert, an einem Pfeiler gelehnt, hinterherschaut. Hätte der nicht vielleicht mal eingreifen können, wenn da eine Frau offensiv angegriffen wird? Himmel noch eins.
Im Auto erläutert mir die Kollegin, was passiert war. Sie stand auf dem freien Parkplatz und der Typ fuhr ungerührt hinein. Also rief sie, dass hier gerade jemand im Begriff sei einzuparken (ok ok, mir braucht jetzt keiner erklären, dass man das nicht darf, aber der Ton spielt die Musik), er blaffte sie in Hochfrequenz an: „Nääää, näää, so läuft das hier in Deutschland nich!“ und hielt drauf. Sie konnte gerade noch so wegspringen, ehe er sie angefahren hätte. Sozial geht anders. Also kommentierte sie das wenig auf Kommunikation angelegte und stattdessen auf Angriff fokussierte Verhalten im Weggehen mit einem „Bist du ein Arsch, ey!“ Bin ich bei ihr. Ich lass mich auch nicht gerne anbrüllen und umnieten. Doch da sind bei der Knalltüte wohl auch die allerletzten Synapsen in den freien Fall geraten. Kaum eingeparkt, rannte er ihr hinterher! Und ab da war er der Wortgeber. Meine Kollegin hat gar nichts mehr gesagt, außer, dass er sie in Ruhe lassen soll.
Geht es noch? Hätte er in einem normalen Ton gesagt: „Nee du, sorry, ich hab selbst schon einen Knollen, jetzt war ich eben schneller. Geh bitte beiseite.“ Sie wäre zur Seite gegangen. Wir sind ja alle nicht doof. Aber aufs Gas treten, sich danach noch wie ein wildgewordener Mega-Troll auf sie stürzen, wegen eines Parkplatzes (!) und keiner greift ein. Irre.
Das Karma ist allerdings gnädig. Selbst ich – obwohl sie im Grunde meinen Kampf unfreiwillig ausfechten musste – hab etwas Herzklopfen danach. Die Wahrscheinlichkeit tendiert eigentlich gen Null, sonderlich konzentriert bin ich auch nicht mehr und trotzdem finden wir nur wenige hundert Meter weiter einen weiteren legalen Parkplatz. Ich hätte nach der Nummer einen erneuten Strafzettel in Kauf genommen, einfach nur, weil ich selbst genau wusste, damit rechnen zu müssen und der Stresslevel ausgereizt war. Never ever möchte ich zu so einem asozialen Wut-Auslagerer werden. Was auch immer solche Menschen kompensieren müssen, ich will nicht tauschen!
Meine arme Kollegin werde ich jedenfalls nie wieder „Schmiere“ stehen lassen. 😉
Und blaue Kleinwagen haben jetzt erst einmal eine erhöhte Alarmstufe in einem Wahrnehmungskreis in Hammerbrooklyn. Immer schön einen großen Bogen machen. Man weiß nie, wann da ne Synapse ihre Schaltkreise verlässt.